Wir lebten gefährlicher -
aber auch selbstständiger
und freier, als Kinder heutzutage

Für uns, die wir in den 50er, 60er bis anfangs der 70er Jahre Kinder waren, ist es zurückblickend kaum zu glauben, dass wir so lange überleben konnten!

Als Kinder saßen wir in Autos ohne Sicherheitsgurte, ohne Kindersitze und ohne Airbags. Dafür konnten wir uns auf langen Reisen bewegen, nach hinten, aus dem Fenster folgenden Autofahrern zuwinken - oder auch mal eine lange Nase zeigen. Waren wir müde, legten wir uns quer auf die Rückbank und schliefen.

Unsere Bettchen waren angemalt in strahlenden Farben voller Blei und Cadmium. Arzneimittelfläschchen konnten wir ohne Schwierigkeiten öffnen, genauso wie die Flaschen mit Salmiakgeist und Bleichmittel.

Türen und Schränke waren eine ständige Bedrohung für unsere Fingerchen. Auf dem Fahrrad trugen wir nie einen Helm. Auch Arm- und Beinprotektoren kannten wir nicht, dafür hatten wir häufig aufgeschlagene Knie und Ellbogen.

Wir hatten Roll- oder Schlittschuhe und nicht "Inline-Skader". Unser Spielzeug hatte keine Aufkleber mit "geprüfter Sicherheit".

Wir tranken Wasser aus Wasserhähnen und nicht aus Flaschen.
 


Wir bauten Wagen aus Seifenkisten und entdeckten während der ersten Fahrt den Hang hinunter, dass wir die Bremsen vergessen hatten. Damit kamen wir aber nach einigen Unfällen klar.

Wir verließen morgens das Haus zum Spielen. Wir blieben den ganzen Tag weg und mussten erst zu Hause sein, wenn die Straßenlaternen angingen. Niemand wusste wo wir waren und wir hatten nicht mal ein Handy dabei!

Wir haben uns geschnitten, brachen uns Knochen und Zähne und niemand wurde deswegen verklagt. Es war eben Unfälle. Niemand hatte Schuld außer wir selbst. Keiner fragte nach "Aufsichtspflicht".

Kannst du dich noch an "Unfälle" erinnern? Wir kämpften und schlugen einander manchmal bunt und blau. Damit mussten wir leben, denn es interessierte die Erwachsenen nicht. Wir aßen Kekse, Brot mit Butter dick, tranken sehr viel und wurden trotzdem nicht zu dick. Manchmal aßen wir auch Bandnudeln mit ganz viel Butter und ganz viel Salz

Wir tranken mit unseren Freunden aus einer Flasche und niemand starb an den Folgen. Wir schleckten im Winter das Eis aus der Regentonne und wurden nicht krank.

Ein Spaß war es zu prüfen, ob das Wasserloch wirklich tiefer als die Gummistiefel hoch war.

In den Ruinen des letzten Weltkrieges kletterten wir herum und legten uns bäuchlings auf herausragende Stahlträger, unter uns der Abgrund zur Straße hin, weil die Frontwand der Häuser fehlten. Passanten mahnten uns allenfalls "nicht herunter zu fallen", worum wir sehr bemüht waren.

In den Bauschutthügeln über den Kellern suchten und fanden wir Hohlräume und bauten uns - trotz Verschüttungsgefahr - darin unsere "Lagerla".

Im nahen Wald bauten wir uns Baumhäuser und kein Förster zeigte uns wegen Sachbeschädigung oder Waldfrevel an, weil wir Nägel in die Äste trieben. Wenn er gutgelaunt war half er uns sogar dabei.

Das alles hatten wir nicht: Playstation, Nintendo 64, Xbox, Videospiele, 64 Fernsehkanäle, Filme auf Video, Surround Sound, eigene Fernseher, Computer, Internet-Chat-Rooms. Wir hatten Freunde!

Wir gingen einfach raus und trafen sie auf der Strasse. Oder wir marschierten einfach zu deren Heim und klingelten. Manchmal brauchten wir gar nicht klingeln und gingen einfach hinein. Ohne Termin und ohne Wissen unserer gegenseitigen Eltern. Keiner brachte uns und keiner holte uns... Wie war dass nur möglich?

Wir dachten uns Spiele aus mit Holzstöcken und Tennisballen. Außerdem aßen wir Würmer. Und die üblen Prophezeiungen trafen nicht ein: Die Würmer lebten nicht in unseren Mägen für immer weiter und mit den Stöcken stachen wir auch nicht all zu viele Augen aus.

Beim Straßenfußball durfte nur mitmachen, wer gut war. Wer nicht gut war, musste lernen, mit Enttäuschungen klarzukommen.

Manche Schüler waren nicht so schlau wie andere. Sie rasselten durch Prüfungen und wiederholten Klassen. Das führte nicht zu emotionalen Elternabenden oder gar zur Änderung der Leistungsbewertung.

Unsere Taten hatten manchmal Konsequenzen. Das war klar und keiner konnte sich verstecken. Wenn einer von uns gegen das Gesetz verstoßen hat, war es üblich, dass die Eltern ihn nicht aus dem Schlamassel herausholen. Im Gegenteil: Sie waren der gleichen Meinung wie die Polizei! So etwas!

Aber unser gefährliches Leben hat sich scheinbar gelohnt: Unsere Generation hat eine Fülle von innovativen Problemlösern und Erfindern mit Risikobereitschaft hervorgebracht. Wir hatten Freiheit, Misserfolg, Erfolg und Verantwortung. Mit alldem wussten wir umzugehen.
 

 

 

 

 

 

 

 

 

frei nach einenem unbekannten autor